Wenn Kreation und Rezeption zusammenrücken – ein Interview mit dem Fingermaler Benjamin Rabe


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»Santa caught. Not.« Auf dem iPhone gemalt von Benjamin Rabe

»Santa caught. Not.« Auf dem iPhone gemalt von Benjamin Rabe

An einem kalten Dezemberabend treffen in dem Apple-Store Arndt&Bleibohm im Hamburger Schanzenviertel mehr Menschen als üblich aufeinander. Sie alle verbindet eins: iPhone-Malerei. Auch wir konnten uns die Ausstellung des iPhone-Fingermalers Benjamin Rabe (Blog) nicht entgehen lassen. Doch was für Geschichten und Köpfe stehen hinter den Fingerpaintern? In einem Interview mit Benjamin Rabe möchte wir erkunden, was für künstlerische Möglichkeiten neben dem Musizieren noch zu bieten hat.

Hallo Benjamin, kannst du uns kurz ein paar Worte zu deinem Hintergrund verraten? Irgendwelche Leichen im Keller?

Nene, nur ausgewählte. Also, ‘70 geboren, in 80ern von Atari, Activision, ECA und MAD großgezogen. Helden: Dani Bunten, David Crane, Don Martin, Loriot. Basic mit 14, Assembler mit 16, Physik-Studium mit 20, aufgewacht mit 23 und Schwenk zum Kommunikationsdesign-Studium. Viel gemalt bis dahin, dann nimmer mehr. Stattdessen html, css, rails, ExtremeProgramming – und das alles mit großem Spaß. Freiberuflich seit sechs Jahren. 2006 ins Startup-Team (Interface & Konzept) von Qype gerutscht und zum 2.0er geworden, was ich gerade aber wieder abschüttele.

Wie kamst du denn zum Malen auf dem iPhone?

Stef Kardos zeigte im Februar 2008 auf seinem Blog seine kalifornischen Skizzen. Sehr schnell, sehr malerisch, alle auf dem iPhone gemalt. Das ging damals durch den entsprechenden Teil der Blogospäre, hauptsächlich wohl auch, weil Stef Art Director bei Disney ist. Ich dachte, hey, ulkig irgendwie. Nix Ernstes, aber mal ausprobieren. Die Möglichkeiten habe ich damals noch gar nicht erkannt.

Was genau fasziniert Dich daran?

Bisher musste ich, wenn ich Malen wollte, recht hohe Schwellen überwinden. Erstens die Zeitschwelle: zum Malen muss man sich Zeit nehmen; und Zeit ist kostbar während des Arbeitstages. Zweitens die Raumschwelle: zum Malen braucht man Fläche, und Platz für die Utensilien. Drittens die Feedbackschwelle: wie mit allem lernt man am schnellsten durch Imitieren, Adaptieren und durch Feedback anderer.
Fingermalen hat diese drei Schwellen extrem weit herabgesetzt.
Ich kann jetzt zu Zeiten malen, die mir vorher verschlossen waren: abends auf dem Sofa, im Bus, beim Kaffee, in Meetings. Dadurch wird das Malen dann auch sehr situativ.
Ich brauche kein eigenes Atelier, genau genommen ist ein eigener Raum gar nicht mehr nötig.
Und dann das Feedback: Meiner Meinung nach der entscheidende Faktor. Denn da bekommt das Situative eine Gegenrichtung. Nicht nur kann ich spontan zB. im Park was malen, ich kann es auch sofort ‘ausstellen’ (via flickr zb.) und bekomme oft binnen Minuten Feedback. Kryptischer gesagt: Kreation und Rezeption rücken so dicht zusammen, dass meine Lernzyklen extrem verkürzt wurden. In diesem Jahr habe ich ganz klar mehr übers Malen gelernt, als in all der Zeit davor.

Das Malen auf dem iPhone ist ja noch recht frisch, oder irren wir uns da?

Ja, nicht aber das Malen auf mobilen Geräten! Da war ich selbst überrascht, so kommt zB. das Programm colors! ursprünglich von der Nintendo DS, und auch auf Windows CE basierten Geräten gibt es schon lange Mal- und Zeichenprogramme. Leute malen geniale Dinge auf diesen Geräten. Thierry Schiel, einer der 7 TheFingerpainters, ist schon seit Jahren dabei. Aber das Fingermalen selbst ist recht frisch, ja.

Was bietet dir das iPhone, was dir ein Atelier nicht auch bieten könnte?

Ganz klar die Mobilität und das Spontane. Natürlich ist da auch der OHA!-Faktor, der mir vieles erleichtert. Klassisches Malen hätte es mir sicherlich nicht so schnell ermöglicht, eine Ausstellung zu machen oder mit drei Seiten im Kiaro, dem Kundenmagazin von Kia zu landen. Damit bin ich nach Colombos New Yorker Cover der zweite mit einer Cover-Illustration – schon ziemlich irre.

Wo hat die Fingermalen-Bewegung ihren Ursprung? Wie ist sie entstanden?

Mitte letzen Jahres dachte Steve Sprang darüber nach, wie eine Farbpipette auf dem iPhone funktionieren müsste; als er mit der Lösung zufrieden war, musste eine App her. Ein Painting-Programm lag nah, und im Herbst kam dann Brushes heraus. Als ich auf die flickr-group stieß, waren da so an die 30 Leute unterwegs, voller Begeisterung. Durch Stefs Blog und spätestens durch das New Yorker Cover von Jorge Colombo ist dann die Aufmerksamkeit gestiegen. Jetzt sind knapp 2000 Maler dabei, es gibt weltweite Ausstellungen, Fernsehberichte, etc. Und wie oft ist in Deutschland die Begeisterung schwerer zu entfachen …

Was ist das Status quo? Könnte man von einer neuen Bewegung der Kunstszene sprechen?

Ich denke nicht, dass die etablierte Kunstszene schon sonderlich Notiz genommen hat. Die gescheiterte Art-Mobile in Paris ist ein Anzeichen dafür. Dort hat Guilles Guias fünf renommierte Galeristen zusammengetrommelt um aus über 2700 Bildern eine Auswahl zu treffen. Am Ende haben die 12 Stück gewählt. Die konnten damit rein gar nix anfangen.

Überhaupt: Wie stehst Du zu dem Begriff Kunst?

Wie ein faules Küken zum Begriff Fliegen.

Du bist Mitglied bei der Gruppierung thefingerpainters.com. Um was handelt es sich hier? Und was wollt ihr mit dem Projekt erreichen?

Alle sieben der Gruppe kennen sich quasi von Anbeginn des Jahres über flickr, haben sich über die Zeit gegenseitig gepusht und Projekte zusammen gemacht, u.a. die MobilArt eBooks von Thierry Schiel, die durch Susan Murtaugh ermöglichte CAD-Ausstellung in Chicago oder Matthew Watkins und mein Ping-Pong-Painting. Als Gruppe wollen wir dieses Jahr zusammen eine Ausstellung machen und insbesondere mit dem Erscheinen des Tablets durch Aktionen dem Fingermalen unseren Stempel aufdrücken.

Was nutzt Du für Werkzeugs, bzw. Apps, um dein Bilder zu malen oder zu zeichnen?

Zum Malen: Brushes, SBM, Layers, Inspire, zum tweaken: PhotoFX, Photogene, Tiltshiftgen und zum Syncen: Flickit, Mobile Fotos

Zu guter Letzt: Wo wird es hin gehen? Was können wir von den Fingermalern noch erwarten?

Alle hoffen auf Apples Tablet. Damit besteht die Chance, Fingermalen als Illustrations-Stil und -technik zu etablieren; gleichzeitig glaube ich aber auch, dass das iPhone durch seine Größe immer das bessere Sketchpad bleiben wird.

(Bild: flickr, Lizenz)

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