Das Internet verlegen – ein Interview mit Wilhelm Ruprecht Frieling


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Die Buchbranche hat spannende Geschichten zu bieten, gerade abseits der großen Nachrichten. Dies soll auch das nachstehende Gespräch verdeutlichen, geführt mit dem Berliner Verleger Wilhelm Ruprecht Frieling vom noch jungen Verlag Internet-Buchverlag.

Zum Einsteig ein paar Fragen zu Dir: Kannst Du Dich kurz vorstellen: Woher kam die Idee den Verlag zu gründen? Was ist Dein Hintergrund?

Ich war 30 Jahre lang als Fotograf und Redakteur sowie später als Autor und Verleger tätig. Unter anderem baute ich den Verlag Frieling & Partner auf und veröffentlichte darin mehr als zehntausend Texte neuer Autoren. Davon erschienen rund dreitausend in Einzelbüchern. Henryk M. Broder schenkte mir in einem SPIEGEL-Bericht das Kompliment: »Es ist das schrägste, originellste und individuellste Verlagsprogramm weit und breit. Und kein anderer Verleger hat so viele Autoren glücklich gemacht«. Das klassische Buchgeschäft kenne und beherrsche ich also aus dem Effeff.

Dank der unübersehbaren Veränderungen, die das Internet dem Buchmarkt seit der Erfindung des Buchdrucks beschert, wollte ich noch einmal aus dem Althergebrachten aussteigen und neu beginnen. Ich gab mein Unternehmen ab und bereitete die Gründung des Internet-Buchverlags vor.

Wodurch zeichnet sich das Verlagsangebot vom Internet-Buchverlag aus?

Da ich nur vermuten konnte, wie ein ausschließlich auf den Möglichkeiten des Internets basierender Verlag laufen würde, habe ich meine eigenen Bücher als Testobjekte genommen. Dabei nutze ich die Möglichkeit, Texte zuvor in Blogs und Foren zu testen. Sprechen die Zugriffszahlen für sich und lässt sich an der Zahl der Kommentare ein waches Leserinteresse feststellen (ich nehme minimal 100 Kommentare pro Beitrag als untere Grenze), dann fließen die Texte in Bücher. Diese werden bedarfsorientiert „on demand“ gedruckt, damit entfallen also die Lagerhaltung und die damit verbundene Kapitalbindung und sind unbegrenzt lieferbar.

Was sind Eure Vertriebskanäle und wie wollt Ihr Euer Angebot vermarkten?

Das Marketing für Neuerscheinungen läuft über Internet-Communities wie Blogs, Facebook, Twitter und Online-Foren. Es wird versucht, neue Wege der Buchwerbung zu gehen, die den Möglichkeiten des Web 2.0 entsprechen. Sämtliche Bücher des Unternehmens sind unter Angabe der ISBN über das Barsortiment Libri im Buchhandel beziehbar. Online-Buchhändler liefern die Titel portofrei ins Haus. Vorab können die Titel mittels des Amazon-Tools »Search Inside« angesehen werden.

Durch welche inhaltlichen Schwerpunkte wollt Ihr Euch differenzieren?

Im Internet-Buchverlag werden bevorzugt Kolumnen, Grotesken und Reportagen aus dem realen und virtuellen Leben veröffentlicht. Alle Autoren sind selbst in den verschiedenen Internet-Communities aktiv und stellen sich und ihr Werk auf verschiedenen Plattformen, Foren und Blogs vor. Der Verlag fühlt sich den Traditionen des »New Journalism« verpflichtet. Dabei handelt es sich um einen Reportagestil, der um die Mitte der Sechziger Jahre entstand und mit Namen wie Tom Wolfe, Hunter S. Thompson, Truman Capote und Norman Mailer verknüpft ist. Er weicht von der sonst üblichen journalistischen Praxis ab, da die Autoren höchst subjektiv schreiben und viel Wert auf literarische Stilmittel legen.

Wie wurde das Angebot bisher aufgenommen?

Die Idee, interessante Blogbeiträge, Reportagen, Kolumnen, Grotesken und Satiren zwischen zwei Buchdeckel zu binden, stößt auf positive Resonanz, weil es neue Lesegewohnheiten mit der klassischen Präsentationsform verknüpft. Gerade längere Beiträge, also Artikel, die mehr als 6.000 Zeichen umfassen, werden am Bildschirm nur dann vollständig gelesen, wenn sie mitreißend geschrieben sind. Da bietet das gedruckte Buch eine gute Ergänzung. Ein E-Book erfüllt den gleichen Zweck.

Was sind die Ideen für die Zukunft?

Ich finde die Entwicklung in Asien spannend. Dort werden elektronische Bücher scheibchenweise für jeweils wenige Cent abgegeben. Wer also weiter lesen will, lässt sich jeweils frei schalten. Das Lesefutter kann zu unglaublich niedrigen Preisen abgegeben werden, und es wird dennoch über die Masse ein Umsatz generiert, von dem klassische Verlage kaum zu träumen wagen.

Vor welchen Herausforderungen siehst Du die Buchbranche momentan stehen?

Die größte Herausforderung für die an sich konservativ eingestellte und in Deutschland zudem ständisch orientierte Branche kommt aktuell von Google und Amazon. Wenn eines Tages sämtliche relevanten Werke online verfügbar sind, dann haben sowohl der klassische Buchhändler (so es ihn als Einzelhändler überhaupt noch gibt) wie auch die Zwischenbuchhändler ausgedient. Allein dies würde zu einer Halbierung der Abgabepreise für Bücher führen. Auf der anderen Seite entsteht allerdings ein weltweites Monopol, das auch missbraucht werden könnte.

Welche Ansätze im Verlags-Sektor sind Deiner Ansicht nach momentan die innovativsten?

Ich halte Scribd für eine Plattform mit enormem Potential. Scribd wird zum YouTube der Bücher, der Dienst ist allerdings bezogen auf den kostenpflichtigen Download derzeit noch auf die USA beschränkt. Ich mache dort mit einem Buch, dessen Download unter zwei Euro kostet, mehr Gewinn als mit dem gleichen Titel, der in gedruckter Form € 14,80 im Handel kostet.

Der Gedanke, Wissen (kosten)frei verfügbar zu machen, gefällt mir. Wikipedia geht dabei voran. Wer hätte jemals gedacht, dass so viele kompetente Autoren sich zu einem gewaltigen Netzwerk zusammen finden, um unentgeltlich ihr Wissen zu vermitteln? Die Anschaffung sündhaft teurer Publikumslexika wird damit obsolet. Im Hintergrund wütet eine Debatte um die Reformierung des Urheberrechts, das in der gegenwärtigen Form kaum zu halten sein wird.

Twitter und die andren Social Communities wie Facebook sind mittlerweile von fast allen Verlagen entdeckt worden. Diese Plattformen werden aber lustlos besiedelt und dienen häufig nur der Wiedergabe langweiliger Pressemeldung. Hier wird es sehr schnell dazu kommen, dass die Instrumente professionell eingesetzt werden, denn wer hier zu spät kommt, den bestraft das Leben!

In London steht bei Blackwell die erste vollautomatische Buchmaschine. Der Kunde gibt die gewünschte ISBN ein und geht kurz einen Kaffee trinken. Wenige Minuten später liegt das gewünschte Buch fix und fertig gedruckt und gebunden zur Abholung bereit. Die gute Buchhandlung der nahen Zukunft verfügt über ein derartiges Terminal, das jedes gewünschte Buch ausspuckt, dessen Daten zuvor online geladen werden.

Das Internet bietet die wahnsinnige Chance, als Autor oder auch als Verlag über Nacht bekannt zu werden, und zwar ohne eine millionenschwere Marketingmaschinerie. Darin liegt das eigentlich Innovative unserer Zeit, und ein Unternehmen wie der Internet-Buchverlag versucht im bescheidenen Rahmen, diese Chancen zu nutzen.

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